Adam, ein einsamer Drehbuchautor, lebt zurückgezogen in London. In seinem Wohnblock begegnet er dem betrunkenen Nachbarn Harry, der ihn kennenlernen möchte. Adam weist ihn zunächst ab. Kurz darauf besucht Adam sein verlassenes Elternhaus und trifft dort in seiner Fantasie auf seine Eltern, die bei einem Autounfall gestorben sind, als er elf war. Sie essen gemeinsam, und Adam verspricht, wiederzukommen.
Zurück in seiner Wohnung trifft Adam erneut auf Harry. Diesmal lässt er sich auf eine Beziehung mit ihm ein, und die beiden bauen langsam ein gemeinsames Leben auf. Harry offenbart Adam seine familiäre Entfremdung, während Adam sich seinen Eltern bei weiteren Besuchen öffnet. Er spricht mit seiner Mutter über seine Homosexualität und die Akzeptanz seiner Eltern. Mit seinem Vater klärt er schmerzhafte Kindheitserinnerungen an Mobbing, die mit einer herzlichen Versöhnung enden.
Adams und Harrys Beziehung vertieft sich, doch eine Partynacht und Drogenkonsum bringen Adam in eine Krise. Nach einem Blackout findet Adam sich wieder bei seinen Eltern zu Weihnachten, wo er eine heitere Feier erlebt. In der vermeintlichen Realität bringt Harry ihn nach Hause. Adam erzählt ihm von der Tragödie seiner Eltern und den unausgesprochenen Schmerzen, die er durch die Trennung von seiner Mutter nach dem Unfall erlebte.
In einer impulsiven Nacht nimmt Adam Harry zu seinem Elternhaus mit. Harry ist skeptisch und alarmiert von Adams Verhalten. Das Haus scheint leer, doch Adams Mutter erscheint am Fenster. Als die vermeintliche Realität und Visionen verschwimmen, wird Adam klar, dass er seine Eltern loslassen muss, um glücklich zu sein. Bei einem letzten emotionalen Abschied verschwinden beide letztendlich.
Als Adam nach Hause zurückkehrt, findet er Harry tot in dessen Wohnung, bereits stark verwest. Es stellt sich heraus, dass Harry, ähnlich wie Adams Eltern, reine Fantasie war. Trotz des Schocks tröstet Adam Harry, der ihm zwischenzeitlich erscheint, und die beiden verbringen eine letzte gemeinsame Nacht. Während „The Power of Love“ von Frankie Goes to Hollywood spielt, vereinen sie sich in einem Lichtstrahl am Sternenhimmel, symbolisch für Abschied und Frieden.
Eins vorweg. All of Us Strangers lädt sehr zum spekulieren ein. In einigen Theorien habe ich gelesen, dass Adams Eltern und Harry Geister seien, dass Adam ebenfalls tot sei, gestorben beim Brand am Anfang des Films, was ich aber nicht so interpretiere. Vielmehr empfinde ich Adam als emphatischen und Autor mit sehr viel Vorstellungskraft. Er selbst gibt für mich den entscheidenden Hinweis, im Gespräch mit seiner Mutter im Bett, kurz vor Ende des Films, als er zu ihr sagt, dass er sich Jahre nach ihrem Tod unzählige Situationen und Ausflüge mit ihr im Detail vorgestellt hat. Daher bin ich überzeugt, dass Harry und seine Eltern sowie weite Teile des Films seiner Imagination entsprangen. Ein weiterer Hinweis für mich waren die subtilen Anspielungen auf eine mögliche Grippe/Erkältung, die er sich wohl im strömenden Regen eingefangen hat. Ab da wurden seine Visionen immer intensiver. Das, gepaart mit seiner natürlichen Vorstellungskraft, ist für mich die Erklärung für die Interaktionen mit seinen Eltern und Harry.
„Es braucht nicht viel um sich wieder so zu fühlen, wie damals“
Ein tolles Konzept in All of Us Strangers ist die Konfrontation des Sohnes mit den Eltern, doch treffen sie sich im gleichen Alter. Die Eltern erkennen, dass ihr Sohn voller Trauer, Verlust und Einsamkeit ist, Adam erkennt, dass seine Eltern Menschen ihrer Zeit waren, die ihr bestes versucht aber aus ihren Umständen auch nicht so wirklich herauskamen. Ganz offensichtlich wird das beim Gespräch mit der Mutter, als er ihr von seiner Homosexualität erzählt und sie in ihrem konservativen Weltbild sehbar erschüttert ist. Auch der Vater, zwar emphatisch, muss dennoch den harten Kerl mimen, weil man das damals als Mann wohl scheinbar sein musste. Untermalt wird die Aufarbeitung dieser Konflikte, dieser Trauer und der jahrelangen Leere, die Adam verspürt, immer wieder von herzzerreißenden Szenen, die mich beim Schauen das Films so dermaßen überwältigt haben, dass ich noch heute, 4 Tage danach, die einzelnen Szenen im Kopf habe und ehrlicherweise auch ein paar Tränen in den Augen habe, während ich diesen Beitrag schreibe. Denn machen wir uns nichts vor, Tränen werden hier reichlich vergossen. Sei es das erste Aufeinandertreffen von Adam und seinen Eltern, als die Eltern tanzten und wir Adam in einem wunderschönen Shot zwischen den beiden sehen können oder die Gespräche mit Harry über seine Verluste und Ängste, vor allem nachdem er sich ihm gegenüber öffnet. Dann ist da noch die Szene, als Adam sich vorstellt mit seinen Eltern im Bett zu kuscheln, weil er in seinem nicht schlafen kann und dieses traurige Gespräch mit seiner Mutter entsteht, natürlich die Abschiedsszene im Restaurant, als beide Eltern langsam verblassen (mir fällt kein besseres Wort ein, denn eigentlich erstarren sie) und auch das Gespräch mit seinem Vater, warum er nie in sein Zimmer kam, wenn er ihn doch weinen hörte, aber die Szene, die mich wirklich gekillt hat, war der Weihnachtsabend. Adam erwacht in seinem Kinderbett und läuft zu seinen Eltern, die grad den Weihnachtsbaum schmücken. Im Fernsehen läuft Top of the Pops mit den Pet Shop Boys „You’re always on my mind“. Die Familie stimmt ein, plötzlich schaut die Mutter Adam liebevoll und entschuldigend an:
Maybe I didn’t hold you
All those lonely, lonely times
And I guess I never told you
I am so happy that you’re mine
If I made you feel second best
I’m so sorry I was blind. You were always on my mind
You were always on my mind
Das war mein Moment, der mich endgültig gebrochen hat. Kurz darauf noch das Finale und der letzte Tiefschlag, wenn auch das Ende so schön und versöhnlich war, dass ich danach nicht mit einer deprimierenden Trauer zurückblieb, sondern mit einem einem wohligen Gefühl etwas sehr schönes, wenn auch trauriges erlebt zu haben.
Es gab von vereinzelten Stellen aber auch Kritik. Speziell die Sex-Szenen von Adam und Harry seien zu explizit gewesen. Das ist am Ende natürlich Geschmackssache (ja, bewusst gewählte Wortwahl), doch gehört natürlich auch die Auslebung seiner Sexualität zu Adams unterdrückten Gefühlen. Da all das in seiner Fantasie stattzufinden scheint, ist es für mich nur logisch, dass die Szenen so „krass“ dargestellt sind, wobei ich da in Mainstream Filmen schon mehr gesehen habe. Ohne einen Vorwurf machen zu wollen, ich denke die Komponente „Homosexualität“ spielt hier viel ein das vereinzelte Unbehagen mit rein. Zudem gab es auch Stimmen, die sagten, die Clubszene und der Drogenkonsum wären sehr antiklimatisch gewesen im Vergleich zum Rest des Films, was ich ebenfalls auf unausgelebte Gefühle, Wünsche, Persönlichkeit, Sexualität und Verlangen zurückführe. Entweder war Adam allein im Club und hat sich Ketamin geballert, weil er zu dieser Zeit schon auf dem Weg der Erkenntnis war oder all das fand in seiner Fantasie statt und eigentlich hat ihn sein Grippefieber umgehauen. Für mich ist jede einzelne Szene durchdacht und passt zu 100% ins Gesamtbild.
Andrew Scott als Adam, Paul Mescal als Harry, Claire Foy als Mutter und Jamie Bell als Vater spielen allesamt spektaktulär. Ihre Leistungen sind es, die diese Szenen noch einmal besonders untermauern. Doch besonders Andrew Scott und Claire Foy möchte ich hier hervorheben. Andrew Scott beweist einen unglaublichen Facettenreichtum, selbst etwas Humor wird phasenweise eingestreut, doch hauptsächlich ist es seine unausgelebte Trauer und sein einsames, trauriges und sehnsüchtiges Spiel, was mich vom Hocker gehauen hat. Claire Foy steht dem in nichts nach. Ihre Zerrissenheit zwischen ihrer konservativen Einstellung, der Erkenntnis nicht genügend Zeit mit ihrem Sohn gehabt zu haben…das war wirklich stark. Der Soundtrack war minimalistisch, die Musikstücke, allen voran „Is this love?“ und „You are always on my mind“ werde ich wohl auf ewig mit All of Us Strangers in Verbindung bringen.
All of Us Strangers ist ein Meisterwerk. Regisseur und Drehbuchautor Andrew Haigh hat hier einen zeitlosen, emotionalen Zerstörer von Film geschaffen, den ich mir wieder und wieder ansehen werde. Ich kann eine bedingungslose Empfehlung aussprechen.

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